Geselligkeit im Badezuber…

Juni

… ein kleiner Einblick in die Badekultur des Mittelalters
Im mittelalterlichen Gau-Algesheim läutet der Bader Johann kräftig seine Handglocke, denn die Öfen seiner Badestube sind angeheizt und die Wannen und Zuber mit heißem Badewasser gefüllt. Das steinerne Badehäuschen hat sein Domizil am Rande der Stadt und nahe dem Welzbach gefunden. Es duckt sich in den Schatten der Stadtmauer, sein Schornstein raucht kräftig. Aus den umliegenden Häusern kommen die ersten Badegäste, leicht bekleidet und in der Hand den Badesack, um sich das wöchentliche Bad und Vergnügen zu gönnen.

Noch heute erinnert der Straßenname „Badstube“ in Gau-Algesheim an ein mittelalterliches  Badehaus – und so ist nahezu in jeder Stadt eine Straße zu finden, die noch von der ausgeprägten Badekultur des Mittelalters zeugt.

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Mittelalterliche Badekultur
Die Römer brachten ihre Badekultur in unsere Regionen, doch sie ging mit dem Untergang des römischen Reiches wieder verloren. Zwar zeigte sich der eine oder andere Adlige dem Schwimmen zugetan, gehörte es doch zu den sieben „ritterlichen Fertigkeiten“, aber über einen langen Zeitraum hinweg war das Waschen des Körpers eher unüblich. Erst die Kreuzfahrer entdeckten das Baden wieder, als sie im Mittelalter auf ihren Reisen durch islamische Länder zogen. Sie erkannten, wie heilsam und wohltuend Bäder waren. So entstanden zunächst in Burgen und Schlössern Badstuben, die reich ausgestattet bald zum Statussymbol wurden.
Mit der Entstehung des mittelalterlichen Städtewesens breiteten sich öffentliche Badestuben in den Städten aus. Sie gehörten zum mittelalterlichen Stadtbild – und das regelmäßige Bad war für jeden erschwinglich, denn das Eintrittsgeld war abhängig vom jeweiligen Gesellschaftsstand. Handwerkern gab man in früheren Zeiten kein Trinkgeld, sondern ein Badegeld.
Daher ist auch das Vorurteil, dass das Mittelalter schmutzig gewesen sei, nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr haltbar. Im Gegenteil, im Mittelalter wurde ausgiebig Körperpflege betrieben. Ein Bad pro Woche wurde sogar ausdrücklich empfohlen! Sogar Inhaftierte hatten neben dem Recht auf Beichte und hl. Kommunion auch das Recht auf den Besuch eines Badehauses.

Waschen und Schwitzen im Badehaus
Die Herkunft des Wortes Badstube/Badestube lässt sich auf das althochdeutsche „stioban“ oder „stieben“ zurückführen, das „dampfen“ bedeutet. Wegen der Brandgefahr waren die Badehäuser aus Stein, im Gegensatz zu den üblichen Fachwerk- und Lehmbauten. Die Badehäuser waren meist am Stadtrand und in der Nähe eines Baches oder Flußlaufs zu finden, denn Wasserleitungen gab es im Mittelalter nicht.
Je nach Größe hatten die Badehäuser neben den Badestuben noch Ruheräume und eine Küche. Die Wannen waren aus Holz, Kupfer oder Messing. Das Badewasser wurde in mit Kupferkesseln bestückten Öfen erhitzt. Die Öfen heizten zudem die Baderäume und sorgten für den schweißtreibenden Dampf. Häufig wurde das Wasser mit heißen Kieselsteinen warmgehalten. Die Badegäste saßen auf Schemeln in den Zubern oder Wannen.
War das Bad geheizt und bereitet, tat dies der Bader mit einer Glocke oder einem Hornsignal kund. Zum Badehaus gingen die Badenden meist leicht bekleidet. Sie führten einen Badesack mit, in dem sich alles befand, was man zum Baden benötigte. Das Bad begann mit der Körperreinigung, danach folgte das Schwitzen.
Der Wasserdampf in der Schwitzstube wurde durch das Übergießen heißer Kieselsteine erzeugt. In den Schwitzbädern standen Holzbänke, die in unterschiedlicher Höhe angebracht waren. Während des Schwitzens schlugen sich die Badegäste mit Wedel oder Ruten auf den Körper, um das Schwitzen zu fördern, oder ließen sich, wenn es der Geldbeutel zuließ, von „Reibern“ Schweiß und Schmutz kräftig abreiben. Nach dem Schwitzbad wurde der Körper mit Wasser übergossen, es folgten rasieren und Haar waschen, auf Wunsch schröpften die Bader dann noch oder ließen zur Ader.
Nur ein kleiner Teil der Badegäste stieg in die Wanne, den ein Wasserbad (meist angereichert mit Kräutern und Essenzen) war wesentlich teurer als ein Schwitzbad.

Der Bader – Arzt des einfachen Volks
Das Berufsbild des Baders vereint Körperpflege und Medizin. So kam dem Bader in der mittelalterlichen Gesellschaft eine große Bedeutung zu. Zwar gab es zu dieser Zeit auch studierte Mediziner, aber sie waren selten oder teuer. Bei alltäglichen Wehwehchen, aber auch schlimmen Verletzungen gingen die Menschen zum Bader. Der Bader war zugleich eine Art Wundarzt, der auch kleine chirurgische Eingriffe vornahm.
Seine Arbeit umfasste medizinische, hygienische und kosmetische Aufgaben:
Zur-Ader-Lassen, Kopfschmerzbehandlung, Anlegen von Verbänden, Verabreichen von Salben und Arzneien, Ziehen kranker Zähne, Ausübung kleinerer chirurgischen Tätigkeiten, Massage, Schneiden von Haaren und Bärten, Bereitstellung von Bädern und Betreuung von Badegästen.

Das Badehaus – Ort der Geselligkeit
Scham war den Menschen im Mittelalter größtenteils fremd, man badete mit Fremden zusammen, es gab keine Trennung der Geschlechter. Im Schwitzbad waren die Badegäste nackt, im Wasserbad trugen Frauen eine Art Schürze, Männer hüllten sich in Badhemden. Das gemeinschaftliche Baden erfreute sich großer Beliebtheit – wegen der Hygiene und vor allem wegen der Geselligkeit. Für die Menschen jener Zeit vereinte sich in der Badestube Vergnügen und Zerstreuung mit therapeutischen Heilzwecken. In den Wannen und Zubern wurde gegessen und getrunken, Nachrichten und Klatsch ausgetauscht und musiziert.
Da es in den Bädern keine Trennung der Geschlechter gab, waren sie als Orte der Unsittlichkeit der Kirche bald ein Dorn im Auge. Priestern wurde es grundsätzlich verboten, eine öffentliche Badestube aufzusuchen. Bald trennte man nach Frauen- und Männerbädern und erstellte Baderegeln.

Das Ende der Badekultur
Die mittelalterliche Badekultur fand ein abruptes Ende, als Pest und Cholera durch Europa zogen und spanische Söldner die Syphilis aus Südamerika nach Europa brachten. Baden in Gemeinschaft wurde gemieden, viele Badestuben wegen der hohen Ansteckungsgefahr geschlossen. Zudem geriet das Baden an sich in Verruf. Nach Ansicht vieler Ärzte war es schädlich und überflüssig, weil beim Baden direkt Ansteckungen in die Haut eindringen könnten. Bei dieser Wasserscheu blieb es lange Zeit!

Übrigens: Die Redensart „Etwas ausbaden“ stammt aus dem Mittelalter. Wer zuletzt badete, zahlte zwar weniger, badete aber dafür im Wasser seiner Vorgänger – und musste zudem beim Zuberputzen helfen.