Karlsjahr 2014: In die Forschungsgeschichte geblickt

Februar 2014

Im Karlsjahr 2014 steht in Ingelheim neben Karl dem Großen auch seine Kaiserpfalz im Mittelpunkt der Veranstaltungen. Sie lockt als erlebbares Außendenkmal unzählige Touristen an und kann auf mehr als 100 Jahre Grabungsgeschichte zurückblicken.

„Dort ein erhabener Palast von hundert Säulen getragen, Vorratshäuser dabei, Wohnbauten mancherlei Art. Tausend Pforten des Ein- und Ausganges, tausend Verschlüsse alles geformt von der Hand trefflicher Meister der Kunst.“ Mit solch prächtigen Worten beschreibt der Dichter Ermoldus Nigellus im Jahre 826 den „Glanz der Ingelheimer Kaiserpfalz“. Eine imposante Anlage muss die Pfalz gewesen sein, die Karl der Große vor mehr als 1200 Jahren in Ingelheim errichten ließ. Im kommenden Oktober kann die Kaiserpfalz auf eine 100-jährige Grabungsgeschichte zurückblicken. Viele Teile der Pfalzanlage hat man inzwischen wieder sichtbar und für Besucher auf vielfältige Weise erlebbar gemacht hat.

Herrscher auf Reisen
Karl der Große kannte, wie übrigens alle mittelalterlichen Herrscher, keine Hauptstadt oder einen festen Wohnsitz. Er zog mit seinem Gefolge von Pfalz zu Pfalz und machte seinen mo­mentanen Wohnort so zum Mittel­punkt des Reiches. 774 weilte Karl der Große zum ersten Mal in Ingelheim. Er residierte in einem fränkisch-merowingischen Königsgut, das Karls Vater Pippin auf den Mauern einer römischen Villa errichten ließ. Ihm mögen die reizvolle Landschaft, die wildreiche Wälder und die Nähe zur erzbischöflichen Residenz Mainz gut gefallen haben, denn er legte selbst Hand an die Planung seiner Pfalz in Ingelheim. Viele Chronisten wie Ermoldus Nigellus beschreiben die reiche Ausstattung der Ingelheimer Pfalz.

Das Heidesheimer Tor der Kaiserpfalz. [Foto: Pia Steinbauer]
Das Heidesheimer Tor der Kaiserpfalz. [Foto: Pia Steinbauer]
Auch Ludwig dem Frommen, Karls Sohn und Nachfolger, gefiel es in Ingelheim. Mindestens zehnmal weilte er in der Kaiserpfalz, hielt Reichsversammlun­gen, Hoftage und eine kirchliche Synode mit Gesandtschaften aus ganz Europa ab. Spektakulär war der Empfang des Dänenkönigs Ha­rald in Ingelheim, der sich mitsamt seinem Gefolge taufen ließ. Tod­krank kam der Kaiser 840 nach In­gelheim und starb in seinem Pavil­lon auf der Tierparkinsel im Rhein. Seine Nachfolger besuchten die In­gelheimer Pfalz nur noch selten.
Erst im 10. Jahrhundert, unter Otto dem Großen, be­gann eine neue Blütezeit der Residenz. Wieder war sie Stätte vieler Reichsversammlun­gen und kirchlicher Synoden. Das brachte auch eine bauliche Verän­derung des Palastbezirkes und den Bau der Saalkirche mit sich. Ihren letzten Aufschwung erlebte die Kö­nigspfalz im 12. Jahrhundert, zur Zeit Friedrich Barbarossas. Die ein­setzende Verehrung Karls des Gro­ßen veranlasste den Kaiser, die Pfalz zu restaurieren und mit einer Wehrbefestigung zu umgeben. 1354 gründete Karl IV. auf dem Palastgebiet ein Augustiner-Chor­herrenstift. Damit endete die Ge­schichte der königlichen Pfalz.

Die Kaiserpfalz – 100 Jahre Grabungsgeschichte
Das geschichtliche Interesse an der Ingelheimer Kaiserpfalz erwachte bereits im 16. Jahrhundert. Sebastian Münster, Ingelheims bekanntester Sohn, beschrieb und zeichnete die Pfalz in seiner „Cosmographia“. Johann Daniel Schöpflin veröffentlichte die erste wissenschaftliche Abhandlung zur Kaiserpfalz im Jahre 1766. Allerdings begnügte er sich mit einer historischen Betrachtung der sichtbaren baulichen Überreste. Fast einhundert Jahre sollten vergehen, bis Carl August von Cohausen weitere Untersuchungen vornahm. Der 1852 in Mainz stationierte preußische Offizier, der dem „Verein zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Alterthümer“angehörte, ließ 1855 im Bereich der Aula regia graben und machte das Gebäude zum Gegenstand einer Abhandlung. Schon von Cohausen schließt seine Arbeit mit der Aufforderung, die noch vorhandenen Ruinen zu schützen: „…der Stein muss erhalten werden, und möge auch dieser bald seine Beschützer finden.“
Die erste umfassende Schrift, die neben der Geschichte auch eine Rekonstruktion der ehemaligen Pfalzbauten zum Inhalt hatte, veröffentlichte Paul Clemen im Jahre 1890. Dazu führte er im August 1888 und im April 1889 die ersten planmäßigen Ausgrabungen im Pfalzareal durch. Sein Nachfolger Prof. Dr. Christian Rauch steht für den Beginn der archäologischen Grabungen in Ingelheim. Der Architekt und Kunsthistoriker, bestens mit den Methoden archäologischer Ausgrabungen vertraut, belegte vorhandene historische Quellen und die bisherige Pfalzforschung mit Ausgrabungen. Mit einem Team aus Wissenschaftlern und Vermessungstechnikern nahm er im Oktober 1909 archäologische Grabungen auf dem Ingelheimer Kaiserpfalzgelände in Angriff. Die in den Jahren 1909 bis 1914 durchgeführten fünf Grabungskampagnen nutzte man für umfangreiche Fundamentuntersuchungen. Zwar war eine Aufdeckung größerer Flächen aufgrund der dichten Bebauung nicht möglich, aber trotzdem konnte Rauch die Ausdehnung und den Grundriss der Ingelheimer Königspfalz bestimmen und in einem Rekonstruktionsmodell festgehalten. Leider wurden seine Forschungsarbeiten mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges jäh beendet.
Erst 1960 kam es zur Fortführung der archäologischen Forschungen durch Walter Sage, Hermann Ament und Uta Wengenroth-Weimann. Im Zeitraum von zehn Jahren führte das Archäologenteam im gesamten Gebiet der ehemaligen Königspfalz Punkt- und Flächengrabungen durch. Die neuen Erkenntnisse machten erhebliche Korrekturen am Rauch-Modell erforderlich. Aber auch die jüngeren Forschungen fanden 1970 ein vorzeitiges Ende. Zwar waren zu diesem Zeitpunkt erhebliche Teile der Pfalzanlage untersucht, aber es fehlte eine Gesamtauswertung aller bisherigen Forschungsergebnisse.

Die Ära Grewe – neue archäologische Erkenntnisse und touristische Erschließung der Pfalz
Unter der wissenschaftlichen Begleitung von Prof. Dr. Walter Sage nahm am 28. Juni 1993  der Mittelalter-Archäologe Hol­ger Grewe M.A. die Arbeiten im Kaiserpfalzareal wieder auf. Grewe machte es sich zur Aufgabe, in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (ehem. Landesamt für Denkmalpflege) die Ausgrabungen in bislang nicht untersuchten oder unzureichend dokumentierten Flächen voranzutreiben und die Altgrabungen systematisch auszuwerten. Eine Gesamtpublikation, in der die Ergebnisse der Ingelheimer Pfalzenforschung seit 1909 veröffentlich werden sollen, ist derzeit in Arbeit.
Grewes Grabungen: Nach einem gezielten Grunderwerb der Stadt Ingelheim konnte Grewe mit seinem Team  in den Jahren 1994-1998 der Bereich Aula regia und 2000-2003 das Areal „Heidesheimer Tor“ archäologisch untersuchen. 2004 standen die Sakralbauten der Kaiserpfalz im Mittelpunkt der Kampagne. Bei Grabungen auf dem nördlich der Saalkirche gelegenen Platz fand Grewe zwei Kirchen, die der Saalkirche vorangingen. In den Jahren 2005 und 2006 stand die Freilegung des Karlsbades (Sebastian-Münster-Straße), im Mittelpunkt der archäologischen Arbeit. Derzeit widmete sich das Forschungsteam den Pfalzbezirken Zuckerberg und Karlsplatz,; dort werden während des Straßenausbaus baubegleitend archäologische Untersuchungen durchgeführt.
Grewes touristisches Konzept: Im Laufe der vergangenen zehn Jahre hat Grewe im Zusammenwirken mit der Stadt Ingelheim und der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz sein „Konzept zur Untersuchung, Erhaltung und touristischen Erschließung der Kaiserpfalz“ umsetzen können. Nach der Einrichtung eines Besucherzentrums wurden die archäologisch untersuchten Flächen Aula regia, Saalkirche und Heidesheimer Tor unter Berücksichtigung ihrer räumlich-thematischen Schwerpunkte baulich erschlossen und denkmalgerecht neugestaltet. Diese Standorte leiten heute den historisch interessierten Besucher durch das Ingelheimer Pfalzareal. Auch weiterhin werden punktuelle Grabungen zum Bild im Kaiserpfalzareal gehören. Das sieht Grewe als Teil des touristischen Konzepts:“ Die Besucher sollen sehen und erleben, das da noch geforscht wird.“

Besuchertipps
Als Startpunkt einer Kaiserpfalzbesichtigung empfiehlt sich das Besucherzentrum (François-Lachenal-Platz 5) mit seinem angeschlossenen Museum. Erste Informationen geben dort eine multimediale Präsentation und ein Modell der Kaiserpfalz, zudem informieren ausgestellte Exponate über die Architektur der Pfalz. Mittels der Broschüre „Historischer Rundweg“  oder des multimedialen und interaktiven Besucherführer eGuide, der mit GPS-Fußgängernavigation durch den dicht besiedelten Denkmalbereich führt, kann die Kaiserpfalz erlaufen werden.
Es werden auch regelmäßige Führungen angeboten; Informationen unter 06132/714701.